Autonomie und Bitte um den Tod

Angelika Kurz

Die Sterbehilfe ist wegen der damit verbundenen Entscheidung über Leben und Tod das für Einzelne folgenreichste bioethische Thema. Im selben Zusammenhang wird mitunter die Pränataldiagnostik diskutiert, die Grundlage für einen Schwangerschaftsabbruch sein kann. Die beiden Materien verbindet eine drastische Gefahr: Es liegt nahe, dass Menschen durch ein Urteil über den Wert des Lebens anderer in deren Autonomie eingreifen und diesen Eingriff in die Tat umsetzen. Die selbstbestimmte Bitte um den eigenen Tod ist auch deshalb auf präzise ethische und gesetzliche Grundlagen zu stellen.

Expertisen Betroffener, das sind vornehmlich Kranke und Behinderte, werden zu Sterbehilfe und Pränataldiagnostik nur selten gehört. Sie sind von deren Missbrauch stärker als andere bedroht, weil krankes und behindertes Leben von der Mehrheitsgesellschaft mitunter als weniger wertvoll erachtet wird. Während nach allgemeinem Verständnis das Leben von Gesunden absolut und uneingeschränkt bewahrt werden muss, scheint der Tod einer kranken oder behinderten Person gegen ihren “Nutzen” abgewogen zu werden. Mitunter muss die Person sogar die willkürverdächtige Testfrage eines “glücklichen Lebens” bestehen. Ein solcher Paternalismus in Form eines Werturteils über das Leben anderer ist gerade bei seiner Beendigung durch Dritte wesensimmanent todgefährlich.

Dabei herrscht bei der Mehrheitsgesellschaft fehlgeleiteter Übermut. Behinderte und Kranke betonen ungehört, dass das Urteil Nichtbehinderter über behindertes oder krankes Leben regelmäßig mit der Selbstwahrnehmung nichts gemein hat. Die Fehlvorstellungen der nichtbehinderten Gemeinschaft erfassen meist schon den Begriff der Behinderung nicht richtig: Behinderung ist nach dem Selbstverständnis vieler überwiegend ein System von außen auferlegter Schranken. Folglich hat sie mit der einzelnen Person, ihrem menschlichen Wert oder der selbstempfundenen Lebensqualität wenig zu tun. Entsprechendes gilt für Alter und Krankheit.

Autonomie über das eigene Lebensende

Wonach sollen sich also ethische und gesetzliche Grundsätze bei den diskutierten Fragen richten? Zentral ist die Selbstbestimmung der betroffenen Person. Der Gesetzgeber zum österreichischen Erwachsenenschutzrecht (vormals: Sachwalterrecht) hat das erfreulicherweise erkannt. Bereits der Gesetzgebungsprozess war inklusiv gestaltet, bezog also Betroffene, vor allem Behinderte und Alte mit ein. § 239 des neugefassten Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) betont nun, dass Menschen ihre Angelegenheiten selbst bei eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit nach Möglichkeit und gegebenenfalls mit Unterstützung selbst besorgen sollen.

Autonomie muss auch an der Spitze der Diskussionen um Sterbehilfe und Pränataldiagnostik stehen. Dabei bedeutet Autonomie erstens, dass es nicht auf objektive Beobachtungen ankommt: Feststellungen, die Dritte treffen können, spielen keine Rolle. Die objektive Aussage, “Wolfgang kann nicht mehr gehen” kann jeder machen. Sie spielt aber für Entscheidungen über Wolfgangs mögliche Sterbehilfe keine Rolle. Einzig das, was Wolfgang selbst denkt und schließlich äußert, ist für diese Frage von Interesse. Keiner weiteren Begründung bedarf, dass neben objektiven Beschreibungen auch Werturteile Dritter wie “Ich wäre an Wolfgangs Stelle nicht glücklich” keine Rolle spielen dürfen.

Zweitens bedeutet Autonomie, dass die Entscheidungshoheit nur jener Person zukommt, deren Leben genommen werden soll. Dritte, etwa nahe Angehörige, fühlen sich zwar häufig betroffen. Ihre Autonomie ist aber nicht berührt. Ausschließlich jener Mensch kann entscheiden, in dessen Existenz eingegriffen werden soll. Das ist schwieriger als es klingt und muss ausnahmslos gelten.

Mitunter heißt es in diesem Zusammenhang etwa, vor dem frei gewünschten Suizid zu schützen sei nicht die Aufgabe des Staates (VfGH 11. 12. 2020, G 139/2019-71, dazu unten). Dieser Gedanke ist zu begrüßen, aber die Formulierung schlecht gewählt: Wird jemandem der frei gewählte Suizid verweigert, besteht darin gerade kein Schutz (der dem Staat schon deshalb nicht zustehen kann), sondern eine Verletzung der Selbstbestimmung.

Kaum verwandt: Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch

Aus den vorstehenden, auf die Sterbehilfe angewandten Überlegungen lässt sich eine wesentliche Einschränkung für Schwangerschaftsabbrüche nach einer Pränataldiagnostik ableiten: Weil ein Embryo noch kein Mensch und nicht zu einer Willensbildung fähig ist, kann er auch nicht über sein eigenes, zukünftiges Leben entscheiden. Eine Entscheidung über den Abbruch einer Schwangerschaft kann daher – und das ist wichtig – nicht aus Sicht des Embryos getroffen werden. Niemand kann entscheiden, dass dieses Leben weniger wert sei oder nicht gelebt werden “wolle”. Eine solche Entscheidung ist nicht möglich. Ihre Vertretung, etwa durch medizinisch Behandelnde, Eltern oder des Gesetzgebers scheidet aus. Zu erinnern ist an den übermütigen Paternalismus.

Im Regelfall hat die Pränataldiagnostik damit nur mehr einen einzigen, verbleibenden Zweck: Die schwangere Person in die Lage zu versetzen, einen eigenen Willen zu bilden, für sich selbst, nicht für den Embryo, über die Fortsetzung der Schwangerschaft zu entscheiden. Diese Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein Grundrecht jeder Person. Dazu zählt gerade auch ein Schwangerschaftsabbruch, wie die argentinische Abgeordnetenkammer kürzlich entschieden hat. Das österreichische Strafrecht priorisiert in diesem Zusammenhang den Schutz des Embryos. Gleichzeitig sieht es aber Straffreiheit eines Abbruchs in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten vor (§ 97 Abs 1 Z 1 Strafgesetzbuch (StGB)).

Ob der Embryo behindert ist oder nicht, kann die Entscheidung der Mutter beeinflussen. Hier liegt das zentrale ethische Problem der Pränataldiagnostik. Zudem ist bemerkenswerterweise nach dem Gesetz ist nicht jeder Embryo gleichermaßen geschützt: Wenn eine “ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein werde” (§ 97 Abs 1 Z 2 StGB), ist der Schwangerschaftsabbruch auch nach der Frist der Z 1 nicht strafbar. Diese Regel scheint aus der Perspektive von Menschenwürde und Gleichheitssatz bedenklich. Sie lässt sich am ehesten so begreifen, dass die Entscheidung der Mutter gegen ein behindertes Kind vom Gesetz schlicht entschuldigt wird (Belastungssituation der Mutter). Die anderslautende bisherige Auffassung, dass der Schwangerschaftsabbruch bei nichtbehinderten Kindern strafbar, bei behinderten Kindern dagegen gerechtfertigt sei, wird zunehmend kritisiert. Auf Unrechtsebene darf nämlich wohl kein Unterschied zwischen nichtbehinderten und behinderten Embryos gemacht werden. Eine Gegenmeinung müsste etwa davon ausgehen, dass die körperliche Selbstbestimmung der Mutter weiter reicht, wenn sich der Embryo zu einem behinderten Kind entwickelt, als wenn er sich zu einem gesunden Kind entwickelt. Umgekehrt müsste man die Rechte eines behinderten Embryos also als geringer als jene eines nichtbehinderten Embryos betrachten.

Insgesamt wird die pauschale Regel des § 97 Abs 1 Z 2 StGB zunehmend und zu Recht neu beleuchtet und einerseits mehr Differenzierung durch das Gesetz gefordert. Andererseits sollen umfassende medizinische und soziale Beratungsmöglichkeiten geschaffen werden (zu diesem und dem vorstehenden Absatz siehe Eder-Rieder in Höpfel/Ratz, WK² StGB § 97 Rz 2). Dabei ist gleichzeitig zu beachten, dass die Entscheidungsfreiheit der Mutter nicht behindert wird, etwa indem ihr in ohnehin belastenden Situationen verpflichtende Wartefristen oder Zwangsberatung auferlegt werden. Zu beachten sind in diesem Zusammenhang Fragen, die den Zeitraum nach der Geburt betreffen: Wie verläuft das Leben des behinderten Menschen? Findet Unterstützung und Inklusion behinderter Menschen statt? Welchen Druck übt die Gesellschaft auf Mütter aus, die sich für die Fortsetzung von Schwangerschaften mit einem behinderten Kind entscheiden. Abseits von Mitleids- und Tragödienrhetorik: Welche konkrete Hilfestellung erfahren sie?

Im Ergebnis weist die Pränataldiagnostik eine Reihe an Herausforderungen auf, die im Rahmen der Autonomie einer schwangeren Person über ihren Körper einerseits und des damit zu vereinbarenden gesetzlichen Schutzes jedes Embryos und später Menschen vor Diskriminierung andererseits zu verorten und lösen sind. Von der Diskussion um das selbstbestimmte Sterben sind diese Themen klar zu unterscheiden.

Neuer gesetzlicher Rahmen für die Sterbehilfe

Zurück zur Sterbehilfe verbleibt ein wesentliches Problem: Unter welchen Voraussetzungen kann eine Person ihre Entscheidungsfähigkeit ausüben, einen Dritten zur Tötung oder der Beihilfe dazu zu ermächtigen? Der rechtliche Rahmen ist derzeit in Bewegung: Am 10. Dezember hat der Verfassungsgerichtshof das österreichische Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung (§ 78 zweiter Fall Strafgesetzbuch) aufgehoben (VfGH 11. 12. 2020, G 139/2019-71, insb Rz 98 ff). Der Gesetzgeber hat nun bis 1. Jänner 2022 Zeit, gesetzliche Regeln zu schaffen, um den Missbrauch der dadurch entstehenden Freiheiten zu verhindern. Er wird so einen neuen Handlungsrahmen schaffen, um Menschen zu unterstützen ihrem Leben frei bestimmt selbst ein Ende zu setzen. Wer dabei hilft, macht sich in Zukunft nicht mehr strafbar. Aufrecht bleibt § 78 erster Fall: Tatsächlich schützt dieser die Entscheidungshoheit.

Diese Fragen erlauben eine weitere gesetzliche Annäherung an das selbstbestimmte Sterben, nachdem eine parlamentarische Enquete-Kommission (491 BlgNr 25. GP) im Jahr 2015 noch keine konkreten Vorschläge brachte. 2019 erlaubte eine Novelle des Ärztegesetzes ausdrücklich, das Leiden eines sterbenden Menschen verhältnismäßig zu lindern, auch wenn sein Leben dadurch verkürzt wurde (§ 49a Ärztegesetz; ErläutRV 385 Blg 26. GP 3).

Aufrecht bleibt bislang die Strafbestimmung des § 77 StGB über die Tötung durch Dritte auf Verlangen. Hier fasst nicht die betroffene Person selbst, sondern die oder der Dritte auf Verlangen der betroffenen Person den Tötungsentschluss und führt ihn aus (OGH 19. 2. 2008, 14 Os 2/08p). Bei einer solchen aktiven Sterbehilfe (VfGH 11. 12. 2020, G 139/2019-71) besteht eine ungleich höhere Gefahr, dass die Autonomie beeinträchtigt wird. Auf diesen Unterschied musste der VfGH allerdings konkret nicht eingehen.

Bei der Neuregelung für die Lücke “Unterstützung beim Suizid” wird sich der Gesetzgeber zunächst innerhalb des aktuellen Rechts orientieren. Dabei wird er voraussichtlich das Erwachsenenschutzrecht und das Patientenverfügungsgesetz in den Blick nehmen. Das Patientenverfügungsgesetz bestimmt, wann ein entscheidungsfähiger Mensch medizinische Behandlungen im Vorhinein ablehnen kann, falls er im Zeitpunkt ihrer Notwendigkeit nicht entscheidungsfähig ist. Das Erwachsenenschutzrecht sieht vor, wie Menschen zu unterstützen sind, die in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind.

Grundlegend für beide Rechtsvorschriften ist dieser Begriff der Entscheidungsfähigkeit. Nach § 24 ABGB ist entscheidungsfähig, wer die Bedeutung und die Folgen seines Handelns im jeweiligen Zusammenhang verstehen, seinen Willen danach bestimmen und sich entsprechend verhalten kann. Entscheidungsfähigkeit wird im Zweifel bei Volljährigen vermutet. Das bedeutet, Willenserklärungen sind stets rechtswirksam, außer die Unfähigkeit zur eigenständigen Entscheidung wird nachgewiesen. Einschränkungen dieser umfassenden Vermutung zur Entscheidungsfähigkeit sind nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich: Das Gericht kann bei ernstlicher und erheblicher Gefahr für die Person aussprechen, dass ein Mensch grundsätzlich oder in manchen Lebensbereichen überhaupt nicht mehr eigenständig wirksam entscheiden kann (§§ 24, 242 ABGB).

Eine Patientenverfügung ist nur dann wirksam, wenn die verfügende Person im Zeitpunkt der Verfügung entscheidungsfähig war. Die Entscheidungsfähigkeit muss eine besonders befugte Person (zB ein Notar) dokumentieren (§§ 3, 5 Patientenverfügungs-Gesetz). Inhaltlich ist die Entscheidungsfähigkeit bei der Patientenverfügung näher definiert als im ABGB: So muss zB der Notar darlegen, dass und aus welchen Gründen der Patient die Folgen der Patientenverfügung zutreffend einschätzt, etwa weil sie sich auf eine Behandlung bezieht, die mit einer früheren oder aktuellen Krankheit des Patienten oder eines nahen Angehörigen zusammenhängt. Die freie Entscheidung wird also an besondere inhaltliche Qualifikationen geknüpft. Dabei wird die Autonomie durch einen Prozess sichergestellt, der die Prüfung durch eine unabhängige Person, die Erfahrungen der Patientin/des Patienten und eine ärztliche Aufklärung miteinbezieht. Die in die Zukunft gerichtete Entscheidung der Patientenverfügung ist zudem auf acht Jahre beschränkt.

Fraglich ist, welche dieser Voraussetzungen wegen der ernsten Folgen der Patientenverfügung normiert sind (immerhin kann sie das Leben wegen der Ablehnung bestimmter medizinischer Maßnahmen frühzeitig beenden) und welche deshalb, weil die Entscheidung die Zukunft betrifft, in welcher der Patient selbst nicht mehr entscheiden kann (die Willensbildung könnte deshalb fehlerhaft sein, weil die Folgen der Verfügung das aktuelle Leben nicht beeinträchtigen). Ist der Grund die Zukünftigkeit, so könnte eine Entscheidung über eine Sterbehilfe, die jetzt sofort stattfinden soll, sogar geringere Voraussetzungen haben als eine Patientenverfügung.

Der VfGH hält in seinem Erkenntnis zusätzlich fest, dass die freie Selbstbestimmung bei der Selbsttötung – weil sie irreversibel ist – dauerhaft sein muss. Diese Folgerung überzeugt so nicht: Jede Entscheidungsfähigkeit eines Menschen endet zwangsläufig im Zeitpunkt seines Todes. Ein zeitlich darüber hinaus reichender Wille kann also nicht gefordert werden. Abzustellen ist in zeitlicher Hinsicht schlicht auf einen Willen, der sich auf den Moment des Todes bezieht.

Unklar ist, ob der assistierte Suizid wie eine Patientenverfügung im Voraus verfügt werden könnte. Dies ist wohl zu verneinen, muss doch (§ 77 StGB) der Willensentschluss, der unmittelbar zum Tod führt, von der sterbenden Person selbst kommen. Dies setzt im Gegensatz zur Patientenverfügung, die nur medizinische Maßnahmen ausschließt, eine im Wirksamkeitszeitpunkt aufrechte Entscheidungsfähigkeit voraus.

Offen ist zuletzt auch, was für Menschen gelten soll, die einen Willensentschluss zu sterben fassen und äußern können, aber die Tötungshandlung nicht selbst setzen können. Bei in weitreichendem Maß eingeschränkter Körperfunktion wird aber wohl eine Form der technologischen Unterstützung zu finden sein, bei der minimale Körperreaktionen den Sterbeprozess auslösen können. Diskriminierungen sind in diesem Bereich also wohl letztlich auch nicht zu befürchten.

Praktische Herausforderungen

Eine Herausforderung für den Gesetzgeber wird darin bestehen, die Autonomie der sterbewilligen Person jedenfalls zu wahren, aber die Perspektive der um Sterbehilfe gebetenen Person mit zu berücksichtigen. Die direkte oder indirekte gesetzliche Rechtfertigungslast ist so zu gestalten, dass angesichts von schweren Entscheidungen über Leben und Tod kein schädlicher Druck entsteht. Dies kann sowohl einen helfenden als auch einen die Hilfe (mangels hinreichender Entscheidungs- oder Äußerungsfähigkeit der sterbenden Person) ablehnenden Menschen betreffen.

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Einfluss verborgener Notsituationen den Willen zu sterben beeinflussen kann, etwa die finanzielle Situation der betroffenen Person oder die Angst, andere zu belasten. Dabei kann schlicht auch die Aussicht auf eine schlechte Pflegesituation zum Wunsch führen, das eigene Leben zu beenden. Diese Umstände werden von Gegnern der Sterbehilfe betont und vom der VfGH in seinem Erkenntnis aufgegriffen (VfGH 11. 12. 2020, G 139/2019-71). Eine funktionale, kassenfinanzierte palliativmedizinische Versorgung verringert solche Bedrohungen und die Gefahr, dass Existenznöte zu einem Sterbenswunsch führen.

Der Gesetzgeber tut in allen Punkten gut daran, inklusiv zu denken und Interessenvertretungen behinderter, kranker und alter Menschen bei der Gebotsfindung miteinzubeziehen. Dies fördert das Ziel, dass gesetzliche Kriterien für die Hilfe bei der Selbsttötung tatsächlich den Interessen jener Menschen entsprechen, deren Autonomie berührt ist. Wesentlich ist dabei, dass praktikable Lösungen gefunden werden und das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht bloße Theorie oder “illusorisch” bleibt (vgl EGMR Fall Haas, 20. 1. 2011, Bsw 31.322/07 Rz 60). Auch der das deutsche Bundesverfassungsgericht hat § 217 des deutschen Strafgesetzbuches mit dem Argument aufgehoben, dass es die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung weitgehend entleert (BVerfG 26.2.2020, 2 BvR 2347/15 ua).

Zu diskutieren ist auch, in welcher Form medizinische und pflegerische Berufsgruppen in Sterbehilfe involviert sein sollen. Sollen sie zur Assistenz verpflichtet sein? Sinnvoll ist es hier wohl, einerseits die Autonomie der Betroffenen nicht davon abhängig zu machen, ob sie im privaten Umfeld Helfer vorfinden. Andererseits wird diese Aufgabe im medizinischen Regelbetrieb eher keinen geeigneten Rahmen finden. Stattdessen könnten kassenfinanzierte Strukturen ausgewählt oder neu geschaffen werden, um ausbleibende private Hilfe gegebenenfalls zu substituieren. Einen Appell, der im Sinn eines Leistungsrechts gedeutet werden kann, richtet interessanterweise auch der VfGH an den Gesetzgeber (VfGH 11. 12. 2020, G 139/2019-71 Rz 102). In Belgien, das die Sterbehilfe seit 2002 erlaubt, wird sie häufig im Rahmen einer palliativmedizinischen Behandlung, etwa in Hospizen durchgeführt. Dabei wird die Kontinuität zwischen bisheriger Pflege auf der einen und der Sterbehilfe auf der anderen Seite geschätzt, wie eine Studie belgischer Universitäten zeigt. Namentlich werden Palliativmedizin und Sterbehilfe nicht als Gegensatz betrachtet. In diesem Sinn können auch die Empfehlungen der Bioethikkommission aus 2015 verstanden werden (Sterben in Würde (2015) 15).

Umringende Solidarität

Tritt ab 2022 jemand mit der Bitte an eine Privatperson heran, bei der Selbsttötung zu assistieren, werden sich dieser vor allem zwei Fragen stellen. Ist erstens im Einklang mit neuen gesetzlichen Regelungen die Entscheidungsfähigkeit der Person gegeben? Genauer: Nach welchem Prozess ist das zu beurteilen? Wie kann ich bei diesen Fragen eigene, schwer fehleranfällige Urteile über den Wert fremden Lebens ausblenden? Umgekehrt wird auch das Vertrauen in die gesetzlichen Regeln davon abhängen, wer sie mitgestaltet hat.

Zweitens, wenn ich zum Schluss gekommen bin, dass eine autonome Entscheidung zur Selbsttötung vorliegt: Trage ich im Einklang mit den gesetzlichen Regeln die unglaubliche Verantwortung, die mir ein Mensch soeben zur Wahrung seiner Autonomie anvertraut hat? Um diese Frage positiv beantworten zu können, bedarf es unter anderem folgenden Bewusstseins: Mir wird als helfendem oder aber die Hilfe ablehnenden Menschen stets Unsicherheit verbleiben. Letzte Gewissheit, ob ich die Entscheidungshoheit des Bittenden richtig beurteilt habe, lässt sich auch durch umsichtige Gesetze in vielen Fällen kaum erreichen. Auch drohen wiederum eigene Werturteile den Blick für das Wesentliche zu trüben. Mit diesen Folgen umzugehen, ist kein rechtliche, sondern eine zwischenmenschliche Aufgabe. Ich muss die letzte mir verbleibende Ungewissheit mit dem Ziel reflektieren, die Autonomie der Betroffenen zu achten, aber selbst mit dem Erlebten nachhaltig umgehen zu können.

Die Entscheidungshoheit der Betroffenen über ihren Tod im künftig gesetzlich zulässigen und ethisch gesellschaftlich erarbeiteten Sinne ist zentral. Diese Betonung der Autonomie soll positive Entwicklung und Auseinandersetzung fördern. Sie schafft, richtig verstanden, keinen “Tunnelblick auf das Thema Suizidbeihilfe”, sondern lässt sich – dem zitierten Appell folgend – in eine offene “Kultur der Solidarität” mit den Sterbenden, Angehörigen und pflegenden Personen einbetten. Der falschen Zweiteilung zwischen einer verteufelten Suizidgesellschaft und einer heiligen Sorgegesellschaft sollte man nicht anheimfallen; sie sind wertfrei vereinbar.